San Giovanni in Valle
Die architektonischen Phasen des Gebäudes
die frühmittelalterliche kirche
Es liegen nur wenige Anhaltspunkte vor, um die ursprüngliche Gestalt der Kirche San Giovanni zu rekonstruieren.
Im Rahmen der wenig umfangreichen Ausgrabungen, die in den fünfziger Jahren des 20. Jh.s im Inneren der Kirche durchgeführt wurden, konnte in der Nähe der Stufen zum Altar hin ein kleiner Abschnitt der südlichen Mauer beim ursprünglichen Presbyterium ans Licht gebracht werden.
Die alte Kirche war demnach schmäler und ihre südliche Außenmauer stimmte nicht mit der heutigen überein, wobei diese im Rahmen der spätmittelalterlichen Erweiterung errichtet wurde. Der Verlauf der nördlichen Mauer müsste hingegen mit dem der jetzigen übereinstimmen, die im 18. Jh. neu errichtet wurde.
Im ursprünglichen Presbyterium waren zwei übereinanderliegende Bodenbeläge aus Opus signinum entdeckt worden. Der obere und gleichzeitig jüngere Belag kann mit einer Stützmauer in Verbindung gebracht werden, die intern an die Außenmauer angebracht wurde. Dies wurde als eine Umgestaltung des Presbyteriums ausgelegt, welches räumlich verkleinert und vielleicht mit einer Bank, die den Außenmauern entlang verlief, sowie mit einem Bodenbelag versehen wurde, der im Vergleich zum Langhaus höher angelegt war.
Es liegen hingegen keinerlei Anhaltspunkte zur Entwicklung der östlichen und westlichen Außenmauern vor. Was die östliche Mauer betrifft, so wurde vermutet, dass die Grundmauer an der derzeitigen Apsis verlief, die im 16. Jh. dazugebaut wurde. Dieser Verlauf würde mit dem Ausmaß des Baptisteriums übereinstimmen, welches im Rahmen der kürzlich hinter der Kirche stattgefundenen Ausgrabungen entdeckt wurde.
Die Fassade befand sich vermutlich ungefähr auf der Höhe der Säulen, die noch heute den Hängeboden des Chors der Nonnen tragen. Somit wäre das Gebäude mit rechteckigem Grundriss 21 Meter lang und ungefähr 9 Meter breit.
Entlang der Nordseite der ursprünglichen Kirche waren wahrscheinlich weitere Räumlichkeiten angebaut, worauf verschiedene Mauerabschnitte schließen lassen, darunter auch ein Abschnitt mit einer Bogentür eines Raumes, der sich auf der Höhe der vermutlich nördlichen Ecke der Fassade der ursprünglichen Kirche befand.
Gegenüber der Kirche San Giovanni befand sich anscheinend ein Gebäude, das nur wenige Meter von der Fassade entfernt und anderweitig ausgelegt war. Die Außenmauern dieses Gebäudes wurden im Rahmen von archäologischen Ausgrabungen im Jahr 1955 entdeckt, durch jüngst durchgeführte Nachforschungen belegt und stammen anscheinend aus einer sehr frühen Zeit.
Das Verhältnis zwischen der Kirche und dem gegenüberliegenden Gebäude ist von herausragender Bedeutung, um die darauffolgende Entwicklung der Kultstätte nachvollziehen zu können. Die eingetretenen Veränderungen waren von diesem zuvor bestehenden Gebäude, welches stets beibehalten wurde und innerhalb des Klosterkomplexes von großer Bedeutung war, sehr stark beeinflusst. All dies deutet auf die Bedeutsamkeit des Gebäudes hin, wobei es nicht ausgeschlossen ist, dass es sich dabei wie bereits vermutet um den Palast des langobardischen Statthalters handelte.
Die besondere Rücksicht auf dieses Gebäude geht bereits aus einigen Zeugnissen über eine Erweiterung der ursprünglichen Kultstätte hervor. Vermutlich durch den Bau eines Narthex, welcher durch eine in Nord-Süd-Richtung verlaufende Mauer bezeugt ist, die ca. 3-3,5 Meter vom vermutlichen Verlauf der ursprünglichen Fassade entfernt liegt, fand der Ausbau Richtung Westen statt. Diese Mauer ist ca. 50 cm stark und verläuft zu den nördlichen und südlichen Außenmauern scheinbar leicht schräg von Südwesten nach Nordosten. Dies könnte als eine Anpassung an die Ausrichtung des gegenüberliegenden Gebäudes gedeutet werden.
Die zeitliche Einordnung dieser architektonischen Phase gestaltet sich schwierig. Der deutlich höher gelegene Grundbau könnte ein Beleg dafür sein, dass der vermutliche Narthex bei der Weiterentwicklung der ersten Anlage errichtet wurde.
Die Mauer des vermutlichen Narthex wurde verstärkt, wobei dies wahrscheinlich im Rahmen einer Umgestaltung der Fassade der Kirche erfolgte.
Nach dem Erdbeben im 13. Jh., das sowohl an der Kirche als auch am Langobardischen Tempel schwere Schäden anrichtete, waren Arbeiten am Gebäude notwendig. Laut den vorliegenden Quellen wurden unter der Leitung der Äbtissin Gisla de Pertica im Jahr 1242 Arbeiten vorwiegend am Chor vorgenommen. Dies führte zur erneuten Weihe des Hochaltars der Kirche, der Johannes dem Täufer und dem Evangelisten Johannes geweiht war, sowie eines weiteren, allen Heiligen geweihten Altars. Eine Weihegedenktafel aus dem Jahre 1242, welche in einer späteren Abschrift erhalten blieb, lässt auf eine lang andauernde Restaurierung des Chors schließen. Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass zu jenem Zeitpunkt auch die östliche Stirnseite der Kirche verändert wurde.
DIE KIRCHE IM 14. JAHRHUNDERT
Eine eingemauerte Inschrift auf der Fassade erinnert an die Neuerrichtung der Kirche unter der Äbtissin Margherita della Torre, die das Kloster zwischen 1371 und 1384 leitete.
Die Spuren dieser Erneuerung ergeben sich sowohl aus Ausgrabungen als auch aus der Deutung der Mauerschichtung der südlichen Außenmauer und der Fassade, während zur nördlichen und östlichen Mauer keine eindeutigen Hinweise vorliegen.
Die archäologischen Nachforschungen am Presbyterium ergaben, dass die südliche Außenmauer etwas südlicher, entlang des heutigen Verlaufs wieder aufgebaut wurde. Der neue Bodenbelag wurde etwas höher angelegt und überdeckte somit die ursprünglichen Schichten. Die Kirche wurde somit nach Süden hin verbreitert, während nach Norden hin der ursprüngliche Verlauf beibehalten wurde. Von außen lässt das Mauerwerk am südöstlichen Eck darauf schließen, dass bei der Neuerrichtung der Verlauf der ursprünglichen Kirche nach Osten hin beibehalten wurde.
Das Mauerwerk besteht in diesem Abschnitt aus Bossenquadern, die waagrecht angelegt und durch Kalkmörtel mit sehr feinem Sand verbunden sind, der noch Spuren von Feinmörtel mit Fugenbearbeitung aufweist. Die Mauer weist auf einer Höhe von ca. 1,50 Metern über der Geländeoberfläche eine Verzahnung auf, nach der die Flucht zurückweicht.
Ähnliche Merkmale und dieselbe Bautechnik wurde auch im Rahmen der jüngsten Restaurierungsarbeiten bei einigen Teilen der heutigen Fassade festgestellt, durch die der Betonputz am unteren Teil entfernt wurde. So wurde bestätigt, dass im Rahmen dieses Wiederaufbaus auch der westliche Teil durch die Errichtung der westlichen Mauer entlang ihres heutigen Verlaufs ausgeweitet wurde.
Dies galt bereits durch die Fresken aus dem späten 14. Jh. in den Nischen im höher gelegenen Teil der Fassade als erwiesen.
Durch jüngst durchgeführte Analysen des Mauerwerks konnten die Umrisse des alten Portals - welches etwas südlicher als das jetzige lag - und des Tympanons, das den oberen Teil der Fassade krönte, ausgemacht werden. Die Fassade war unter der Äbtissin Margherita della Torre errichtet worden.
Außerdem wurde festgestellt, dass der westliche Verlauf der Kirche San Giovanni eng mit dem alten gegenüberliegenden Gebäude verbunden war, welches eine anderweitige Ausrichtung aufwies und wahrscheinlich zum Palast des Gastaldo gehörte. Das Gebäude wurde zu jener Zeit noch genutzt, bei der Errichtung der neuen Anlage beachtet und derselben einverleibt. Die nordwestliche Ecke der Fassade war an der östlichen Außenmauer des alten Gebäudes angelegt und musste sowohl von innen als auch von außen unnatürlich abgerundet erscheinen.
Diese eigenartige architektonische Gegebenheit ermöglichte eine direkte Verbindung zwischen der Kirche und der südwestlichen Seite des Kreuzgangs, insbesondere im erhöhten Stockwerk. Dies könnte eine Erklärung für die eigenartige Lösung in der Kirche von Margherita della Torre sein, wie auch aus den Rekonstruktionen des Innenraums der Kultstätte hervorgeht.
Zum Bodenbelag dieser Kirche, welcher vermutlich ca. 40 cm unter dem jetzigen lag, liegen keine eindeutigen Hinweise vor.
Bemerkenswert ist außerdem der an der südlichen Seite der Fassade anliegende Kirchturm. Dieser wurde auf dem Mauerwerk aus dem 14. Jh. aufgebaut und in einer anderen Bautechnik realisiert. Es ist unklar, ob dieser nach der Errichtung der Kirche von Margherita della Torre oder im darauffolgenden Jahrhundert hinzugebaut wurde. Er existierte sicherlich vor 1521, als er renoviert wurde.
DIE KIRCHE NACH DEM MITTELALTER
Die gegen Ende des 14. Jh.s vorgenommenen Umgestaltungen des architektonischen Aufbaus äußerten sich vermutlich im Anbau einer großen Apsis nach Osten und die Umgestaltung des Innenraums nach Westen hin. Durch die Beseitigung der alten Trennwand wurde dieser geeint, wobei an deren Stelle nach Norden hin auch ein Grab angelegt wurde. Dies bedingte wahrscheinlich auch die Umstellung des erhöhten Chors an der Fassadenrückwand. Außerdem wurde ein neuer Bodenbelag aus Tonhohlplatten gelegt. Folglich musste auch der Eingang angehoben werden, wie die Ausfachung des Portals mit Ziegelsteinen belegt, die durch die Ausgrabungen aus dem Jahr 1955 belegt wurde.
Die Erhöhung betraf wahrscheinlich auch das unmittelbar um die Kirche liegende Gelände nach Westen hin. Im Rahmen der jüngsten Analysen der Bauschichten wurden klare Spuren einer Umstellung des am nordwestlichen Eck der Kirche anliegenden alten Gebäudes festgestellt.
In der Außenmauer dieses Gebäudes wurde ein Doppelbogen aus Ziegeln eingebaut, wobei der Bogenträger genau an der Kante zur Fassade der Kirche angebracht war. Das alte Gebäude an der Kirche San Giovanni spielte im Verhältnis zwischen der Kirche und dem Kloster weiterhin eine zentrale Rolle, selbst wenn dessen Form und Funktion geändert wurden; es ist nicht ausgeschlossen, dass es zu jenem Zeitpunkt mit einem Aufbau versehen wurde.
Der an der nordwestlichen Ecke der Kirche anliegende doppelte Bogen gehörte zu einem neuen monumentalen Zugang zum Kreuzgang durch einen Gang, dessen Zwischenboden mit Tafeln (Pettenelle) verziert ist, die mit einigen Wappen aus der Zeit zwischen Ende des 15. Jh.s und Beginn des 16. Jh.s bemalt sind. Auf einer der Kassetten ist das Wappen der Familie Formentini dargestellt. Dies stellt einen Bezug zu zwei Äbtissinnen, nämlich Elisabetta Formentini (1492- 1516) und Relinta Formentini de Cusano (1517-1548) dar. Besonders unter der Führung letzterer wurden am Monumentalkomplex umfangreiche Arbeiten durchgeführt, wie beispielsweise die Erweiterung des Kreuzgangs um die vorher aufgekauften Häuser der Juden und die Synagoge.
Wahrscheinlich wurde unter ihrer Leitung der vom Erdbeben aus dem Jahr 1511 beschädigte obere Teil des Kirchturms erneuert, wie man der Steinplatte entnehmen kann, die dort heute noch eingelegt ist: RIILINTIS. QUODAM / RODOLFI. FRUMENTINI / REGULI- CUSANESSIS / FILIA . HVIVSQUE / MONASTERII . ANTISTITA / ANNO.SALUTIS / M.D.XXI. FECIT”.
Zu ihren Diensten arbeiteten die Maler Pellegrino da San Daniele und Girolamo d’Udine, wobei aber keine Werke dieser Maler in Zusammenhang mit dem Kloster oder der Kirche erhalten blieben. Lediglich ein Altarbild ziert den im Langhaus von San Giovanni links angesiedelten Altar.
DIE KIRCHE IM 17. UND 18. JH.
Zwischen Ende des 17. und Beginn des 18. Jh.s wurden einige Baumaßnahmen ergriffen, welche der Kirche ihre jetzige Gestalt verliehen. Das gesamte Gebäude wurde merklich erhöht, wie aus der Schichtung der Fassade hervorgeht, die auch nach Norden hin soweit erweitert wurde, dass sie mit einer Ecke bis in den Verbindungsgang mit dem Kreuzgang hineinreichte. Auch das Zugangssystem wurde verändert, indem das zentrale Portal in die Mitte der westseitigen Mauer verlegt wurde.
Wahrscheinlich gehören diese Maßnahmen zu einem Umgestaltungsprojekt, das in den letzten Jahrzehnten des 17. Jh.s begonnen und im Jahre 1694 abgeschlossen wurde, wie aus der Inschrift auf dem Architrav des Portals hervorgeht: ANNO DOMINI MDCXIV.
Die Erhöhung der Kirche und die Umgestaltung der Fassade mussten bereits abgeschlossen sein, als auch die Erhöhung des Kirchturms im Jahr 1724 abgeschlossen wurde, wie die Inschrift auf der darauf befestigten Marmorplatte verrät: “HINC / ELLEVATA / ILL.MA/ ABB.A / NICOLETTI / MDCCXXIIII”. In den ersten drei Jahrzehnten des 18. Jh.s wurden unter der Führung des Maurermeisters Luca Andrioli umfassende Bauarbeiten am Monumentalkomplex durchgeführt. Dabei geht es insbesondere um die Umgestaltung des östlichen Teils des Kreuzgangs, weitreichende Erhöhungen der entlang der Via Monastero Maggiore gelegenen Gebäude und des Refektoriums. Im dritten Viertel des 18. Jh.s wurden tiefgreifende Restaurierungsarbeiten an der Kirche durchgeführt. Wie aus einem Brief des Kanonikers Lorenzo della Torre hervorgeht, wurde nach einem zerstörerischen Blitzeinschlag im Jahr 1751 eine Reihe von Baumaßnahmen ergriffen: „Man dachte an den Neubau des zerstörten Chors, gleichzeitig beschlossen jene höchst frommen Schwestern, die alten Mauern ausgehend vom wankenden Fundament wiederaufzubauen und die Kirche durch zwei weitere Altäre zu erneuern“.
Die Arbeiten wurden im Jahr 1776 mit dem Anbau der Sakristei hinter dem Kirchturm entlang der südlichen Fassade des Gebäudes abgeschlossen, während vor der Kirche ein Narthex errichtet wurde, der mit dem Verbindungsraum zum Kreuzgang verbunden war.
Der Zeitraum zwischen dem letzten Viertel des 17. Jh.s und dem 18. Jh. war anscheinend eine Umbruchsphase, was die Bauarbeiten an der Kirche San Giovanni betrifft. Genau während dieses Zeitraums wurde auch das Innere der Kirche umgestaltet.
Die Stützen des erhöhten Chors im westlichen Teil wurden erneuert, während die nördliche und die südliche Mauer durch Lisenen „belebt“ wurden.
Der Hochaltar wurde im Jahr 1674 vom Meister Paolo Zuliani aus Venedig fertig gestellt und anschließend im Jahr 1700 durch vier Engel des Bildhauers Antonio Comaretto aus Gemona sowie durch drei Altarbilder des bolognesischen Künstlers Ettore Graziani verziert. Auf letzteren sind in der Mitte die Heilige Jungfrau sowie an den Seiten Johannes der Täufer und der Evangelist Johannes dargestellt.
Die im Langhaus befindlichen seitlichen Altäre wurden von Giacomo Vassalli aus Lugano aus Stuckmarmor ausgefertigt. Der rechte wurde durch ein Altarbild des venezianischen Künstlers Piero Antonio Novelli (1724) mit dem Erzengel Michael, dem Hl. Benedikt und der Hl. Klara geschmückt, während der linke durch ein Abbild der Hl. Ursula unter ihren Kameradinnen des Künstlers Palma Il Giovane geziert wurde, das ursprünglich für das Kloster von Cella angefertigt worden war.
Ebenso wie die architektonische Erneuerung dauerte die Ausschmückung der Kirche im gesamten 18. Jh. fort, wie ein Fresko des Hl. Johannes auf der Decke des Gebäudes belegt, das von Giuseppe Dizioni im Jahr 1771 angefertigt wurde.